“Was ich zuvor besessen, was ich zuvor gewusst. Das will ich verlieren, vergessen.- Ich reise durch meine eigene Brust.“ (Ringelnatz: Der Abenteurer)
Borta bra, men hemma best. An unserer Küchentür in Kiel hängt dieser Spruch seit unserem Einzug dort vor 23 Jahren. Es ist schön zu verreisen, aber zuhause ist es am schönsten. Dieser Spruch begleitet uns bis hierher. Wir merken, wie sehr wir das Ostseesegeln und die dänischen und schwedischen Inseln lieben. Klar genießen wir die Wärme hier. Im Januar jeden Tag baden gehen zu können, abends lange am Grill zu sitzen unter Palmen ist wunderschön. Unser Ziel war, ein Jahr auf dem Schiff zu leben in der Wärme. Das können wir hier wunderbar. Jeden Morgen schauen wir aus der Luke und über uns strahlt blauer Himmel.
Wir haben so viele wundervolle Menschen kennengelernt. Viele von ihnen sind inzwischen abgelegt. Richtung Karibik. Wir haben sie bei den Vorbereitungen, bei der Überfahrt und bei der Ankunft begleitet, digital. Bekommen Bilder aus einer anderen Welt geschickt, von weißen Stränden und Urwäldern, Schildkröten und Wasserfällen. Wunderschön.
Unser Jugendtraum: Komm, wir segeln um die Welt! Ploppt auf.
Zu unserem Einzug in unsere erste Wohnung hat der Käptn der Ersten eine Weltkarte geschenkt, auf der der Pazifik im Mittelpunkt steht. Weil das der schönste Ozean ist, hat er kommentiert. Damals waren wir 20 Jahre alt, voller Abenteuerlust und haben sämtliche Weltumseglerbücher verschlungen.
Wir haben inzwischen das dritte Schiff, top-ausgerüstet, bald die Zeit und das Geld, den Traum wahr werden zu lassen. Den Traum von damals. Denn Abenteuer haben wir seitdem schon viele erlebt. Wir haben unsere drei wunderbaren Kinder bekommen, mit ihnen, Pferd, Hund, Katze und VW-Bus viele wundervolle und herausfordernde Momente erlebt. Wir haben beruflich Kapriolen geschlagen, Häuser und Wohnungen renoviert. Kurz, im hamsterlichen Alltag sind wir durch Sturm, Flauten, mal mit mal ohne Diesel, Backskisten mal voll, mal leer, Segel heil und gerissen, wieder geflickt und weiter gesteuert, mindestens einmal um die Welt gesegelt, mit dem Wind und gegenan.
Und nun merken wir: uns ist nicht nach mehr Abenteuer. Uns ist nach entspanntem Alltag, zeitlos, lieben Freunden, fröhlichen Runden und stillem Nichtstun. Nach Sackenlassen der ganzen wilden Jahre. Nach Ankommen bei uns.
Um dieses zu erkennen, mussten wir uns auf die große Überfahrt vorbereiten. Wir haben die ToDoListe abgearbeitet, ein Schiff ausgestattet mit Wassermacher, Wind- und Schleppgenerator, Solarzellen, Amateurfunkanlage. Pyroschein, Funkscheine, Medizinseminar gemacht. Alles was uns autark auf den Weltmeeren segeln lässt. Wir haben 100 Liter Wasser in Kanistern gebunkert, Diesel und Gas gefüllt, Backskistenlisten angefertigt, Einkaufslisten erstellt.
Dann legt nebenan auch noch Florian mit seiner Freundin Paim an und erzählt uns von seinen jahrelangen Plänen, zu fahren, und seinem Zögern jetzt. Er legt ab. Liebste Freunde von zuhause mailen uns: Ja!! Ihr müsst!! In die Karibik segeln!! Was für ein Revier!! Diese Pracht, diese Fülle, dieses berauschende Gefühl!!. Dieser Rum. (O-Ton Käptn: In der Karibik ist es so heiß, da liegst du tagsüber nur rum, und abends trinkst du nur Rum..) Vergammelt nicht auf den Kanaren!
Andere mailen: Hey, wem müsst ihr was beweisen. Die Kanaren sind wundervoll. Bleibt!! Hetzt euch nicht durch die Welt.
Was sind wir abhängig von den Erwartungen unserer Freunde!! Wir haben uns wochenlang emotional hin-und hergeworfen. Konnten nicht schlafen. Konnten nicht genießen. Von der Abenteuerlust angesteckt haben wir gebunkert. Dann wieder mit Kloß im Hals und schlechten Träumen aufgewacht. Wir wollten beides! Da sein und nicht rüber segeln. Der Frachter für den Rückweg war bestellt. Es spitzte sich zu. Wir brauchten nur noch die Leinen loszuwerfen.
Und beschlossen dann endlich: Wir bleiben hier. Wir genießen La Gomera. Unsere Freunde hier. Den einfachen Alltag in der Sonne auf dem Boot. Die Palmen, das Frühstück unter blauem Himmel. Das ohne-Termine-Leben. „ach vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich.“ (Gottfried Benn, Reisen)
Wir schauen nach einem frühen Wetterfenster, um uns wieder gen Norden zu bewegen, damit wir den Sommer auf der Ostsee genießen können. Träumen vom Ankern vor Aerosköbing. Segeln dann viermal rund Fünen, streifen Samsö, vielleicht gar bis Anholt. Und baden in den langen hellen Nächten der Ostsee.
Borta und hemma